Welche Rolle werden die Zentralbanken angesichts der Renaissance des Staates und der Rückkehr der Inflation für die Wirtschaft spielen?

Die Bremsen für das Potenzialwachstum der Industrieländer sind vielfältiger Natur: Eine ungünstige demografische Entwicklung, die Alterung der Bevölkerung, die hohe Staatsverschuldung und unzureichende Produktivitätszu-wächse. Ein weiteres Hindernis ist die Zunahme der Ungleichheiten. Die sich abzeichnenden Lösungen deuten auf das Ende der neoliberalen Reagan-Thatcher-Ära und eine höhere Inflation hin.

Gianluca Tarolli, Chefvolkswirt und Strategieexperte, Co-CIO

An vorderster Stelle der politischen Agenda stehen Investitionen in die Ökologiewende und in die Steigerung der Produktivität. Auch der Abbau der seit einigen Jahrzehnten stark zunehmenden Ungleichheiten ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine ökonomische Notwendigkeit und betrifft in gleichem Masse China wie die G7-Länder.

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Wirtschaftliche Perspektiven: Mehr Staat und mehr Inflation für ein nachhaltiges und stärker egalitäres Wachstum

Der Versuch zur Lösung dieses Problems, das auf lange Sicht das Wachstum belasten wird, markiert eine Zäsur zu dem seit den achtziger Jahren dominierenden angelsächsischen Neoliberalismus und steht für die Renaissance des Staates als Wirtschaftsakteur: Die Ausgaben werden gigantisch sein. Zur Erhaltung der Glaubwürdigkeit der staatlichen Instanzen und zur Erreichung der Ziele werden gezielte Steuererhöhungen erforderlich sein: Draghis „Whatever it takes“ wird irgendwann an seine Grenzen stossen.
Nach der überraschend schnellen Erholung der Weltwirtschaft haben mehrere Länder bereits wieder zu ihrem Vor-Covid-Niveau zurückgefunden (auf jeden Fall China, aber auch die USA und die Schweiz); wir rechnen für 2022 mit einer Wachstumsverlangsamung. Dennoch wird die Wirtschaftsaktivität solide sein und über ihrem Potenzial liegen. Trotz des Anstiegs der Energiekosten sowie ganz allgemein der Rohstoffpreise wird der Konsum im Aufwind bleiben, teils dank der Sparüberschüsse der privaten Haushalte, insbesondere aber aufgrund des Rückgangs der Arbeitslosigkeit. Aber als Konjunkturlokomotiven werden vor allem die öffentlichen wie auch privaten Investitionen fungieren, sobald die europäischen und US-amerikanischen Konjunkturpakete Wirkung entfalten. Dieses Umfeld ist Lohnerhöhungen zuträglich – die Forderungen danach werden immer lauter –, so dass die Preise anziehen werden.

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Vereinigte Staaten: Der geschaffene Reichtum (Produktivität) hat mehr das Kapital als die Arbeit vergütet, so dass auf Sicht die Löhne und Steuern steigen werden

AUS DER SICHT DES EXPERTEN

DER KÜNFTIGE TENOR DER ZENTRALBANKEN

Charles Wyplosz // Emeritierter Professor, Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung

2022 dürfte – endlich – das Jahr der Zinserhöhungen sein, nachdem die Zinssätze ein ganzes Jahrzehnt lang auf einem gerade noch tolerierbaren Minimum gehalten wurden. Die Zentralbanken halten sich mit diesbezüglichen Äusserungen noch zurück, die Märkte möchten ihnen gerne glauben, aber die Inflation dürfte bei deutlich über 2% verharren. Aber werden die Zentralbanken den Willen haben, eine Destabilisierung der öffentlichen Verschuldung zu riskieren, die Märkte einbrechen zu lassen und die Erholung zu gefährden? Sie haben keine Wahl. Der Kampf gegen den Preisauftrieb ist ihre Daseinsberechtigung. Für die Zentralbanken besteht eine intelligente Strategie in der Anhebung der Zinsen, langsam, wenn möglich, oder rasch, falls erforderlich, ohne den Abbau ihrer Bilanzen zu überstürzen. Die Einstellung der Anleihekäufe (der berühmten QE-Massnahmen) bedeutet, die immensen Liquiditäten, die eine wichtige stabilisierende Rolle spielen, am Markt zu belassen. Wenn die Märkte ins Schlingern geraten, können die Zentralbanken dort, wo Spannungen auftreten, noch immer Liquidität nachschiessen. Die Aufgabe der Zentralbanken ist nicht der Schutz der Börsenkurse oder der Immobilienpreise. Diese sind für sie nur Kanäle für ihre Geldpolitik. Bei drohender Inflation ist der Abwärtsdruck auf die Kurse durch die Anhebung der Zinsen eine Methode zur Drosselung einer sich überhitzenden Wirtschaft. Die wahre Herausforderung ist die korrekte Dosierung zur Verlangsamung der Inflation, ohne die Erholung abzuwürgen. Dies wird umso besser machbar sein, als die Haushaltspolitik expansionistisch bleiben wird. Dies wird in den Vereinigten Staaten der Fall sein; in Europa hat die Debatte noch nicht begonnen, dürfte aber kompliziert werden. Die SNB wird diese Entwicklung mit Interesse verfolgen.

Es ist immer das Gleiche. Bei einer starken Veränderung führt man zunächst alle möglichen aussergewöhnlichen Gründe an, um sich davon zu überzeugen, dass all das vorübergehend ist. Die inflation wird nicht mehr das sein, was sie einmal war.... und die Zentralbanken werden reagieren.

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